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Wuppertaler Rundschau, 17. September 2016

Wuppertaler Rundschau 2016 Was sind uns unsere Kinder Wert

„Die Armut hat extrem zugenommen.“ Joachim Heiß und Jana-Sophia Ihle begegnen bei ihrer Arbeit in der Alten Feuerwache täglich Kindern, die nicht einmal mit dem Nötigsten versorgt sind.

 

Wuppertal. Gerade erst hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie zum Thema Kinderarmut veröffentlicht. Bitteres Ergebnis: Rund ein Drittel aller Kinder in Wuppertal sind arm. Genau mit diesen Kindern beschäftigt sich seit 25 Jahren die Alte Feuerwache an der Gathe – und leistet wichtige Präventionsarbeit. Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz sprach mit Geschäftsführer Joachim Heiß und der pädagogischen Leiterin Jana-Sophia Ihle darüber, wie sich ihre Arbeit in 25 Jahren verändert hat.

Rundschau: Am 21. September 1991 hat die Alte Feuerwache zum ersten Mal ihre Türen geöffnet und ihre Arbeit aufgenommen. Was hat sich in den Jahren verändert?

Joachim Heiß: Die Zahl der Auffälligkeiten bei Kindern hat extrem zugenommen. Sehr viele zeigen physische oder psychische Stressbelastungen, kommen mit Kopf- oder Magenschmerzen zu uns, zeigen hohe Depressionswerte, sind aggressiv und frustriert. Den Stress und die Konflikte, die sie zu Hause oder in der Schule haben, bringen sie mit zu uns.
Jana-Sophia Ihle: Bei vielen mangelt es schon an der Basisversorgung. Kein angemessenes Essen, keine vernünftige Kleidung – manche laufen im Winter in Sandalen herum. Andere streunen nach 22 Uhr noch hier über die Gathe. All das ist heute nicht mehr die Ausnahme, sondern Alltag.
Heiß: Die Armut hat ganz drastisch zugenommen!

Rundschau: Wo setzen Sie da an?

Ihle: Wir helfen erst mal mit dem Nötigsten. Wir haben hier eine Kleiderkammer, einen Schlafraum und einen Mittagstisch, um die Basisversorgung der Kinder zu gewährleisten. Ausgerichtet ist er für 40 Kinder, aber wir versorgen um die 70. Die Warteliste ist lang und finanzielle Unterstützung gibt es keine. Eigentlich skandalös. Denn viele Eltern haben nicht mal Geld, um ihren Kindern ein Mittagessen zu ermöglichen.
Heiß: Darüber hinaus suchen wir natürlich auch den Kontakt zu den Eltern. Viele haben schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht, da muss man Vertrauen schaffen, ihnen Ängste nehmen und auch Wertschätzung entgegenbringen. Es ist oft ein wahnsinniger Eiertanz, den Eltern, den Kindern und auch den Paragrafen gerecht zu werden.

Rundschau: Wie viele Kinder betreuen Sie?

Heiß: Durch unseren offenen Kinder- und Jugendbereich und die verschiedenen Angebote sind täglich zwischen 215 und 300 Leute im Haus. Intensiv betreuen wir momentan über 40 Kinder, zum Beispiel in den 8samkeitsgruppen. Unser Team besteht aus 14 hauptamtlich Beschäftigten und zahllosen Ehrenamtlern.

Rundschau: Was genau sind die 8samkeitsgruppen?

Heiß: Die Gruppen bieten einen familienähnlichen Rahmen für je acht hochbelastete Kinder mit einer festen Bezugsperson – mit pädagogischer Fachausbildung –, die die Kinder in allen relevanten Lebens- und Entwicklungsbereichen unterstützt. Sie kooperiert eng mit Schulen und Eltern, trainiert angemessenes Konfliktverhalten, fördert besondere Interessen und Begabungen und unterstützt beim angemessen Umgang mit Stressbelastungen.

Rundschau: Sie betreuen auch Flüchtlingskinder?

Ihle: Ja. Es war immer Ziel der Feuerwache, Menschen unterschiedlicher Nationalität bei uns zusammenzubringen. Unsere Arbeit ist immer auch anti-rassistisch. Wir arbeiten dabei mit einer Trauma-Pädagogin, einer Familientherapeutin und einem Deeskalationstrainer zusammen und haben auch viel Zulauf. Diese Kinder haben schon viel erlebt. Wenn sie Bilder von untergehenden Booten oder Kriegsszenen malen, bekommt man eine Ahnung davon.

Rundschau: Ist das die Gruppe, die die meiste Zuwendung benötigt?

Ihle: Die ärmste Gruppe sind osteuropäische Einwanderer, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Sie leben tatsächlich oft von der Hand in den Mund, haben keine Heizung. Denen geht es noch mal zwei Stufen schlechter als anderen.

Rundschau: Es klingt, als sei die Alte Feuerwache ein Mikrokosmos aller gesellschaftlichen Probleme. Haben Sie überhaupt genug Kapazität, sich um alle Kinder aus dem Quartier zu kümmern?

Heiß: Nein, wir bräuchten sehr viel mehr Mitarbeiter, um dem gerecht zu werden. Aber die Stadt hat den Zuschuss seit Jahren gedeckelt. Ohne Hilfe von Sponsoren sähen wir alt aus. Und die Schere geht immer weiter auseinander ...
Ihle: Es ist nicht nur eine Frage von Mitleid oder Gerechtigkeit – unsere Gesellschaft kann es sich schlicht nicht erlauben, alle diese Kinder zurückzulassen. Wie wollen Sie diese zurückgelassene Generation später dazu bringen, die Gesellschaft mitzutragen und nach vorn zu bringen?
Sie bekommen dazu sicher keinen Widerspruch aus der Politik ...
Heiß: Nein, das ist schon allen klar. Aber aus dem Wissen folgt keine Handlung. Sprich: Wir bekommen nicht mehr finanzielle Unterstützung. Die Frage ist: Was sind uns unsere Kinder wert?

Rundschau: Was sind die Pläne für die nächsten Jahre?

Ihle: Um eine möglichst lückenlose Begleitung zu erreichen, möchten wir einen Kindergarten eröffnen. Auf dem Gelände am Mirker Bahnhof planen wir ein Leuchtturmprojekt: Kinder aus sozial schwachen Familien sollen dort die bestmögliche Bildung erhalten. Denn je früher wir diese Kinder abholen, um so besser. Dort könnte Wuppertal beweisen, dass es etwas anders macht – das ist Prävention at it's best!
Heiß: Man muss das auch mal wirtschaftlich sehen. Solche Präventionsprojekte kosten einen Bruchteil von dem, was Bund, Land und Kommunen zahlen müssen, wenn wir solche Kinder zurücklassen.
Ihle: Wuppertal will ja das Image von der "armen Stadt" abstreifen. Aber man muss die Dinge klar benennen und handeln, dann kann es zu einer Stärke werden – und durchaus Modellcharakter für andere Städte haben.

 

Westdeutsche Zeitung, 21. September 2016

Galeria Kaufhof2016 2

Die Kinder der Alten Feuerwache bedanken sich, bei den Kunden und Mitarbeitern der Galeria Kaufhof für die tollen Geschenke zum Schulanfang!

Wuppertaler Rundschau,  23. September 2016

Kommentar von Nicole Bolz: "Warum die Alte Feuerwache mehr als Zustimmung braucht"

nicole bolz"Mit einem Appell, Kinderarmut zu bekämpfen, verhält es sich etwa so wie mit Forderungen nach einem höheren Gehalt, mehr freien Tagen oder Schokolade für alle: Wer das verspricht, dem ist die Zustimmung sicher. Und die Sympathien gleich dazu. Das Tragische an dieser uneingeschränkten Einigkeit ist – sie wirkt mitunter wie ein Narkotikum. Wo man sich angesichts des Elends ergriffen auf die Schulter klopft , da fehlt es am belebenden Widerspruch und an konstruktiven Diskussionen. Aber genau die braucht es, um etwas bewegen zu können. Von Nicole Bolz

Zu beobachten ist dies bei der Alten Feuerwache. Gerade erst mit dem WDR-Kinderrechtepreis ausgezeichnet und zum 25. Geburtstag einmal mehr mit warmen Lobes-und Dankesworten überschüttet, kämpfen Joachim Heiß und Jana-Sophia Ihle einen harten Kampf gegen die Trägheit der Zustimmung. An Lob und Anerkennung mangelt es dem Team der Alten Feuerwache sicher nicht – und das ist auch gut so. Aber was nutzen die schönsten Worte, wenn die Taten fehlen? Wenn das Geld einfach nicht da ist (sagt die Politik), die Große Kooperation nicht handelt (sagt die Opposition), es Sache von Land und Bund ist (sagt die Kommune) und es so viele wichtige Projekte in der Stadt gibt, die man unterstützen muss (sagen viele – zum Glück nicht alle! – Sponsoren). Gegen all das lässt sich ganz schwer argumentieren. Und statt konkreter Hilfe gibt es gegenseitige Schuldzuweisungen, bei denen die Kinder ganz schnell wieder zur Nebensache werden.

Um diese Trägheit zu durchbrechen, erzählen Ihle und Heiß vom Alltag ihrer Arbeit. Von den Ausnahmen, die längst die Regel sind in Wuppertal: Kinder, denen es am Nötigsten mangelt. Die kein angemessenes Essen bekommen, keine vernünftige Kleidung, die im Winter in Sandalen herum laufen oder nach 22 Uhr über die Straße irren. Kinder, die schon in ihren jungen Jahren an Depressionen leiden, die aufgrund der Konflikte der Eltern aggressiv sind – oder sich vor der Welt zurückziehen, weil sie sich schon jetzt abgehängt fühlen. Und das völlig zu Recht.

Studien beweisen es: Armut ist erblich. Kinder aus sozial schwachen Familien schaffen es so gut wie nie, die Abwärtsspirale zu durchbrechen. Einmal am unteren Ende der Gesellschaft, bleibt ihnen die soziale Teilhabe verwehrt, genau wie die Chance auf Perspektive und Entwicklung. Wie bitter ist das, wie unverständlich: Ein reiches Land wie Deutschland, in dem die Konjunktur brummt, lässt seine Kinder einfach zurück.

Das ist keine Frage von Mitleid oder linkem Gedankengut: Eine Gesellschaft, die ihre Kinder so vernachlässigt, der es nicht gelingt, die Kinder wieder zu integrieren, ihnen gesundes Essen und warme Kleidung, Bildung und Zuwendung – eine Perspektive zu geben, die verspielt ihre eigene Zukunft. Denn wie sollen diese Kinder später zu wichtigen und stabilen Pfeilern der Gesellschaft werden? Von den Folgekosten gar nicht zu reden. In Wuppertal gelten ein Drittel der Kinder als arm. Es ist ein nüchternes Rechenbeispiel, wohin das führt.

Die gute Nachricht ist: Es gibt Lösungen. Die Alte Feuerwache hat sie und lebt sie mit den "8samkeitsgruppen" eindrücklich vor. Und keine Sorge: Die Erfolge gibt es nicht nur in Form lachender Kinder, sondern auch in handfesten Zahlen, nachzulesen in der aktuellen Broschüre zur "8samkeitsgruppe". Die Idee eines Kindergartens, der die Kleinsten abholt und ihnen die bestmögliche Bildung gibt, ist ein weiterer Baustein. Er könnte ein tragfähiges Modell sein, übertragbar auf andere Quartiere, die ganze Stadt – und darüber hinaus. Wuppertal könnte damit einmal mehr etwas erschaffen, das ein positives Signal nach außen sendet: Ja, wir sind arm, aber wir finden uns nicht damit ab. Wir haben innovative Konzepte gegen Kinderarmut. Wir lassen das nicht zu!

Andreas Mucke hat im Wahlkampf immer wieder die Bedeutung von Prävention hervorgehoben, explizit die Arbeit der Alten Feuerwache gelobt. Im Rundschau-Interview sagte er damals: "Es kann nicht sein, dass ein Projekt wie die '8samkeitsgruppe' der Alten Feuerwache ausschließlich durch Spenden finanziert wird. Bei sowas werde ich aktiv als politischer OB agieren und alle Fraktionen mit einbeziehen." Bis jetzt ist das nicht geschehen. Man kann so ein Problem sicher nicht in einem Jahr lösen – aber man sollte jetzt damit beginnen, damit es nicht nur leere Worte bleiben. Davon gibt es genug."

 

Ein deutlicher Kommentar.

Vielen Dank, Nicole Bolz, für die klare Stellungnahme.
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